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Fit & Gesund 2017

Gegen das Gewitter im Kopf

Gegen das Gewitter im Kopf

Migräne-Patienten können hoffen: Antikörper zur Vorbeugung sollen bald auf den Markt kommen und den Leidensdruck verringern.

VON ANGELA STOLL Die Schmerzen ziehen so plötzlich auf wie Gewitterwolken. Mal überfallen sie die Patienten als Hämmern und Bohren, mal als Stechen und Ziehen. Dazu kommen bei vielen Menschen während solcher Migräneattacken Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit. Der Leidensdruck ist gewaltig für diejenigen, die solche Anfälle öfters über sich ergehen lassen müssen. Immerhin haben Wissenschaftler bei der Erforschung der Migräne in den vergangenen Jahren bedeutende Fortschritte erzielt. „Das Entscheidende ist, dass wir die Krankheit heute besser verstehen“, sagt der Neurologe Lars Neeb vom Kopfschmerzzentrum der Charité in Berlin. „Davon könnten wir bald auch bei der Therapie profitieren.“

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15 Kopfschmerztage im Monat können eine chronische Migräne bedeuten

Vor allem bei der Vorbeugung der Attacken zeichnen sich Erfolge ab. Das ist wichtig, um die Lebensqualität dauergeplagter Patienten zu verbessern. Außerdem ist der häufige Griff zu Schmerztabletten gefährlich: Der Übergebrauch kann nämlich zu neuen Kopfschmerzen führen.

Unterschiedliche Reaktionen

Wenn Kopfschmerzen entstehen, spielt der körpereigene Nervenbotenstoff Calcitonin Gene-related Peptide (CGRP) eine wichtige Rolle. Forscher haben festgestellt, dass die Konzentration des Stoffs bei einer Migräneattacke erhöht ist, wie Charly Gaul, Sprecher der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft und Chefarzt der Migräne- und Kopfschmerzklinik Königstein, erklärt. Pharmahersteller setzen derzeit auf Antikörper, die die Wirkung dieses Botenstoffs blockieren und dadurch Migräneattacken vorbeugen sollen. Die Präparate müssen alle paar Wochen unter die Haut gespritzt oder als Infusion verabreicht werden. „Derzeit werden von vier Herstellern solche monoklonalen Antikörper in klinischen Studien untersucht“, sagt Gaul. Die Nebenwirkungen seien eher gering: „Am häufigsten scheint ein etwas erhöhtes Risiko für obere Atemwegsinfekte zu sein.“

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Allerdings lägen noch keine Daten zum Langzeiteinsatz vor. Außerdem sprechen die Patienten unterschiedlich gut auf die Mittel an. So zeigte sich, dass die Medikamente bei manchen Probanden kaum einen Effekt hatten. „Die Antikörper-Therapie ist nicht für alle geeignet“, sagt Neeb. Es zeichne sich aber ab, dass sie eine gute Therapieoption sein werde. „Das gilt insbesondere für Patienten mit häufigen Migräneattacken, bei denen andere Therapien nicht effektiv waren.“ Möglicherweise könnte das erste Medikament dieser Art in Deutschland im kommenden Jahr zugelassen werden.

Doch bereits jetzt können Ärzte Menschen mit chronischer Migräne, also solche, die an mindestens 15 Tagen pro Monat an Kopfschmerzattacken leiden, besser helfen als noch vor wenigen Jahren. Ein wichtiger Schritt war die Zulassung von Botulinumtoxin A, besser bekannt als Botox, zur Migränevorbeugung im Jahr 2011. Der hochgiftige Stoff wird von Bakterien produziert und blockiert die Übertragung von Nervensignalen in den Muskeln. Er wird daher zum Beispiel bei Krämpfen in den Muskel injiziert. Weitaus bekannter ist Botox aber als Anti- Aging-Mittel, das unter die Haut gespritzt wird, um Falten zu glätten. Tatsächlich brachte diese Anwendung Forscher erst auf die Idee, das Gift auch gegen Migräne einzusetzen: Einige Menschen hatten berichtet, dass sich im Zuge ihrer Anti-Falten-Behandlung auch ihre Kopfschmerzattacken besserten.

Das Wichtige ist, dass wir die Krankheit heute besser verstehen.

Lars Neeb, Neurologe, Charité Berlin

Botox ist kein Wundermittel

Infrage kommt Botox für Patienten mit chronischer Migräne, bei denen andere Medikamente zur Vorbeugung nicht wirksam sind, erklärt Gaul. Der Neurologe Neeb hat jedenfalls gute Erfahrung mit der Botox-Therapie gemacht: „Etwa 60 Prozent der Patienten mit chronischer Migräne hilft die Behandlung, die Kopfschmerzhäufigkeit zu senken.“ Die Nebenwirkungen seien gering. „Bei einigen Patienten kann es nach der Injektion aber dazu kommen, dass das Augenlid mehrere Wochen lang hängt. Manche haben auch ein Schweregefühl im Nacken.“ 

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Ein Wundermittel ist aber auch Botox nicht. Dieses lässt den Experten zufolge weiter auf sich warten. Manchen Patienten können Betablocker, mit denen eigentlich Bluthochdruck behandelt wird, bestimmte Antidepressiva oder das ursprünglich zur Behandlung von Epilepsie entwickelte Topiramat gut helfen. „Die Auswahl erfolgt nach dem Patientenprofil“, sagt Gaul. „Begleiterkrankungen wie Übergewicht, Schlafstörung, Depression und Asthma müssen beachtet werden.“

Die Reihe der vielversprechenden Ansätze lässt sich noch verlängern: So lassen sich Migräneanfälle offenbar durch Neurostimulation vorbeugen. Dabei werden mit elektrischen Impulsen Hirnnerven gereizt, sodass die Weiterleitung von Schmerzen verhindert wird. Für die Therapie gibt es verschiedene Geräte.

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Doch weder Neurostimulation noch Medikamente allein können schwer betroffene Patienten heilen. Stattdessen brauchen sie Gaul zufolge einen „multimodalen Therapieansatz“, den Ärzte, Psychologen und Physiotherapeuten gemeinsam ausarbeiten. Wenn Entspannungsverfahren, Psychotherapie und Ausdauersport mit Medikamenten miteinander kombiniert werden, ziehen die Gewitterwolken im Kopf am besten ab.

Auch Kinder leiden

Migräne kann schon Kinder und Jugendliche belasten. „Keinesfalls sollten Eltern ihren Kindern eigenständig Medikamente geben und Jugendliche ohne ärztliche Beratung zu Schmerzmitteln greifen lassen“, warnt Kinderarzt Prof. Hans-Jürgen Nentwich vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Denn es kann passieren, dass diese langfristig weniger wirken oder auf Dauer zusätzliche Kopfschmerzen auslösen. Bei einer Migräneattacke legen Kinder sich am besten in einen ruhigen, abgedunkelten Raum. Ein kühles, feuchtes Tuch auf der Stirn kann die Schmerzen lindern.

Kopfschmerzen: ein vielfältiges Leiden

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Jeder kennt sie, und jeder kennt sie anders: Kopfschmerzen sind ein verbreitetes Leiden. Ob als dumpfer Druck, stechendes Bohren oder brennendes Ziehen: Wie sie sich äußern, ist verschieden. Derzeit werden mehr als 367 Formen unterschieden.

Die meisten Betroffenen
leiden an primären Kopfschmerzen. Das heißt, dass ihr Schmerz nicht Folge einer anderen Erkrankung, wie etwa Bluthochdruck, ist. Bei anhaltenden Beschwerden raten Ärzte, die Art der Schmerzen, die Länge der Phasen und die Häufigkeit genau zu beobachten und zu dokumentieren. Hilfreich ist ein Kopfschmerztagebuch. Kalender zum Ausdrucken gibt es im Internet zum Beispiel unter

Am häufigsten sind bei den primären Kopfschmerzen die Kopfschmerzen vom Spannungstyp: ein beidseitiger leichter bis mittelschwerer Schmerz, der vor allem an Stirn und Hinterkopf auftritt. Die Betroffenen haben oft das Gefühl, einen zu engen Hut aufzuhaben. Bei der Entstehung spielt häufig Stress eine Rolle. Behandelt werden diese Schmerzen zunächst mit gängigen Schmerzmitteln wie Ibuprofen, Acetylsalicylsäure oder Paracetamol; auch Pfefferminzöl kann, auf Schläfen, Stirn und Nacken verteilt, helfen. Halten die Beschwerden länger an, ist es sinnvoll, Stressfaktoren zu reduzieren und Entspannungsübungen – etwa progressive Muskelrelaxation – zu machen.

Ebenfalls weitverbreitet ist Migräne: Mindestens 10 Prozent der Erwachsenen leiden gelegentlich an den Attacken. Typisch ist, dass die Kopfschmerzen plötzlich und heftig beginnen, und zwar oft nur auf einer Seite. Bei manchen Menschen kommen Übelkeit, Erbrechen, Geräusch- und Lichtempfindlichkeit hinzu. Unbehandelt dauert ein Anfall in der Regel zwischen vier Stunden und drei Tagen. Außerdem haben etwa 10 Prozent der Migräne- Patienten vor Ausbruch der Schmerzen eine Aura mit Sehstörungen oder neurologischen Symptomen wie etwa Sprachstörungen. Im akuten Fall helfen Ruhe und Schmerzmittel, darunter auch spezifische Migränemittel wie Triptane.

Um Attacken vorzubeugen, ist es sinnvoll, auslösende Faktoren wie Stress, Flüssigkeitsmangel, Alkohol herauszufinden. Ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus ist für viele Betroffene wichtig. Das heißt vor allem: zur gleichen Zeit schlafen gehen und aufstehen sowie zu festen Zeiten essen. Außerdem profitieren sie oft von Entspannungsmethoden und Ausdauersport wie Schwimmen oder Joggen.

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Buchtipp: Gaul, Charly; Totzeck, Andreas; Nicpon, Anja; Diener, Hans- Christoph: „Patientenratgeber Kopfschmerzen und Migräne“. 144 Seiten. ABW Wissenschaftsverlag, Berlin. 12,95 Euro.

Bewegung hält uns gesund

SPRECHSTUNDE INGO FROBÖSE

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Bewegung beugt Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor und senkt das Krebsrisiko. Wer krank ist, sollte im Bett bleiben – dieser fürsorgliche Rat stimmt nicht immer. Denn es gibt Krankheiten, bei denen Bewegung förderlich, wenn nicht sogar dringend notwendig ist. Stichwort Bluthochdruck: Das Thema wird oft unterschätzt, doch in Deutschland sterben mehr Menschen an einem langfristig stark erhöhten Blutdruck als an Krebs.

Ich rate meinen Patienten bei Bluthochdruck zu konsequentem Ausdauertraining: Dreimal pro Woche eine halbe Stunde Laufen oder Fahrrad fahren reicht da schon aus. Langfristig senkt diese Aktivität nicht nur nachweislich den Blutdruck um bis zu 20 Prozent, sondern hat auch einen positiven Effekt auf die gesamte Herzleistung. Der Grund: Mit zunehmender Trainingszeit wird das menschliche Herz sportlicher. Regelmäßiges Ausdauertraining erhöht zudem das Blutvolumen im Körper.

Prof. Dr. Ingo Froböse ist Leiter des Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln.

Die Kobra kräftigt den Rücken

UNSERE LEICHTESTE ÜBUNG

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Die Kobra ist eine wunderbare Übung, um den Bauch, den Brustraum und die Schultern zu dehnen. Anleitung: Auf den Bauch legen, die Hände auf der Höhe der Schultern aufstellen und die Ellenbogen an den Körper heranziehen. Die Bein- und Gesäßmuskulatur müssen angespannt sein. Mit der Einatmung den Oberkörper abheben. Die Schulterblätter nach hinten bringen und die Kraft aus dem oberen Rücken mobilisieren. Die Übung etwa dreimal wiederholen.

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Anämie

DAS SAGT DER ARZT

Ist die Hämoglobin-Konzentration im Blut vermindert, spricht man von einer Anämie oder Blutarmut. Typische Symptome sind leichte Ermüdung, Luftknappheit, mitunter auch Kopfschmerzen.

Hätten Sie’s gewusst? Rund 3,25 Millionen Deutsche leiden unter Schmerzen ohne direkten Bezug zu einer organischen Krankheit.