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Rubbel die Gans

Weder Brust noch Keule 

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Bei Kälte und Hunger traten Spielzeugwünsche in den Hintergrund.

Im Kriegswinter wurde die Gans eingetauscht

Weihnachten steht vor der Tür. Erinnerungen kommen auf. Erlebnisse aus der Jugend. Erkenntnisse aus einer Zeit, in der der Wert des Menschen nicht nur nach Reichtum und Macht gemessen wurde. Ich denke an die Vorweihnachtszeit im Jahre 1943. Das einzige, was es im Übermaß gab, waren Verwüstung, Elend, Trauer und Tod. Dazu Kälte und viel Schnee. Hohe Berge säumten Straßen und Gassen. Weiße Weihnachtstage standen bevor. Doch leider tobte überall dieser grausame Krieg. Ich war sieben Jahre alt und begriff das alles schon irgendwie. Mutter ließ mich an allem teilnehmen. Sie beschönigte nichts. So lernte ich, dass Hunger, Leid und Entbehrung die Menschen hart treffen können. Ich wusste schon genau, dass ich dankbar sein musste für eine warme Wohnung, für eine karge Mahlzeit – und niemals für ein Festessen. Denn das gab es nicht. Bis auf Weihnachten. Dafür hatte Mutter eine Gans gefüttert und großgezogen.

Rubbel die Gans

Weder Brust noch Keule -2

Deshalb lag es mir auch völlig fern, überhaupt nur an ein Spielzeug als Weihnachtsgeschenk zu denken. Für mich hatte ich keinen Weihnachtswunsch. Für meinen kleinen zweijährigen Bruder schon. Für ihn hätten Mutter und ich gerne ein Spielzeug besorgt. In den Jahren zuvor hatte Großvater für uns Enkel geschnitzt und gebastelt, Pferdchen, Wagen und Puppenmöbel. Doch sein Material war ausgegangen.

Ich stand am Fenster und sah den tanzenden Flocken zu. Dabei beobachtete ich einen Mann aus unserem Dorf, der trotz bissiger Kälte herankam. Hunger tut weh und macht erfinderisch. Jener Mann auf der Straße wollte ein selbstgebasteltes Spielzeug für die Weihnachtsgans eintauschen. 

Ich sehe das Spielzeug heute noch vor mir. Es war eine Holzplatte in Form eines Tischtennisschlägers. Darauf waren sechs hölzerne, weißbemalte Gänslein platziert. Bewegte man das Ganze, fingen diese an zu picken und ein klapperndes Geräusch entstand. Genau das richtige für meinen Bruder.

Mutters Weihnachtsgans bekam dieser frierende Mann denn schließlich doch. Wir aßen dafür in den nächsten Tagen weder Brust noch Keule, sondern Kartoffeln, Kartoffeln und nochmal Kartoffeln. Dafür aber durften wir doppelte Freude erleben, als wir am Heiligabend in das glückstrahlende Gesicht des Kleinen sahen – eine Freude, die ich so nie mehr empfand.