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DIE RÜCKRUNDE 2017

„Nicht mehr als zwei Sprüche pro Halbzeit”

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„Donnerwetter, hat der ’ne Frequenz!“, kommentierte er den Kaugummi kauenden Sir Alex Ferguson. „Prödl stand im Strafraum. Sein Bein außerhalb“ oder „Cacau am Ball! Und damit meine ich nicht das heiße Schokoladengetränk“. Mit Sprüchen wie diesen sorgt TV-Kommentator Fritz von Thurn und Taxis seit über 45 Jahren für großen Unterhaltungswert beim Fernsehfußball. Kaum jemand kennt die Branche so gut wie er. Im Sommer, nach dem DFB-Pokalfinale in Berlin, beendet der 66-jährige gebürtige Österreicher seine Karriere, die er 1971 beim Bayrischen Rundfunk begann und ab 1993 beim Pay-TV-Sender Premiere (heute Sky) fortgesetzt hat. Mit AZ/WAZ-Mitarbeiter Pascal Mäkelburg sprach der Mann, der vollständig Friedrich Leonhard Ignatius Josef Maria Lamoral Balthasar von Thurn und Taxis heißt, über die Erfahrungen aus einer bewegten Karriere, die Entwicklung in der Bundesliga und den VfL Wolfsburg.

Sky-Kommentator Fritz von Thurn und Taxis im Interview

Herr von Thurn und Taxis, nach dann 46 Jahren im Geschäft machen Sie im Sommer Schluss. Was bewog Sie zu diesem Entschluss?Ich hatte immer Spaß in meinem Beruf, es war immer mein Traumjob, der mich befruchtet hat. Doch nach so einer langen Zeit wollte ich den richtigen Moment abpassen. Und ich denke – auch in Absprache mit Sky – ist es nun die richtige Entscheidung aufzuhören. Immerhin habe ich mit 66 mein Rentenalter schon erreicht.Kaum jemand ist so lange in der Branche dabei wie Sie. Welche Rolle spielt die Erfahrung bei der Berichterstattung eines TV-Kommentators?Natürlich zehrt man von einem gewissen Erfahrungsschatz. Ein guter Kommentator muss aber immer ein ganzes Paket an Fähigkeiten mitbringen. Es reicht nicht, über eine gute Rhetorik oder ein Gefühl für den Sprechrhythmus zu verfügen. Je mehr Fähigkeiten ein Journalist einbringen kann, desto größer ist die Chance, nach ganz oben zu kommen. Erfahrung ist sicherlich wichtig, aber trotzdem musst du immer deine Hausaufgaben machen und dich gut auf das Spiel vorbereiten. Es ist ein Irrglaube, dass ein Kommentator zum Spiel geht und sofort anfängt zu quatschen.Sie sprechen eine gute Vorbereitung an. Sind Ihre markigen Sprüche, mit denen Sie so sehr polarisieren, eigentlich Bestandteil dieser Vorbereitung?Es ist eine Mär zu glauben, dass Sprüche grundsätzlich aus dem Bauch heraus kommen. Das passiert. Aber an guten Tagen vielleicht einmal pro Halbzeit. Ansonsten kommen einem bei der Vorbereitung auf ein Spiel viele Wortkonstellationen in den Sinn, die man im Hinterkopf behält. Die Kunst ist, diese dann so einzubauen, dass sie homogen rüberkommen. Auch die Quantität ist wichtig. Ich habe zu meinem alten Freund und Kollegen Gerd Rubenbauer immer gesagt: ‚Rubi, mach‘ nicht mehr als zwei dieser Sprüche pro Halbzeit‘. Wenn du zu viel machst, wirkt es beliebig. 

DIE RÜCKRUNDE 2017

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Abschiedstour: Fritz von Thurn und Taxis absolviert seine letzte Saison als Sky-Kommentator.

Kamen diese meist sehr direkten Sätze auch immer gut an?

Grundsätzlich bin ich damit immer sehr gut durchgekommen, sonst wäre ich nicht so lange dabei geblieben (lacht). Aber da komme ich zu meiner ganz persönlichen These: Nur, wer polarisiert, kommt an die Spitze. Nur so gibt es einen Wiedererkennungswert. Ernste Probleme mit meiner Art gab es nur einmal. Ich habe Lucho Gonzales vom FC Porto mal als ,Zigeuner' bezeichnet, was mir nicht gut bekommen ist. Obwohl ich das gar nicht böse meinte, hätte ich das nicht sagen dürfen.

Nicht nur Sie machen Platz für die kommende Generation. Auch die Trainerstühle der Bundesligisten werden momentan auffallend häufig von sehr jungen Fußballlehrern besetzt. Woher kommt diese Entwicklung?

Diese Entwicklung begann ja schon mit Klopp in Mainz. Es hat sich herumgesprochen, dass es funktionieren kann. Natürlich sind die jungen Trainer immer billiger, aber das ist nicht der Hintergrund dieser Entwicklung. Nachdem der DFB auf Drängen seines Präsidenten Mayer-Vorfelder im Jahr 2000 ein neues Nachwuchskonzept verabschiedete, mussten auch gute Leute im Trainerstab für die Junioren-Teams installiert werden. Trainer wie Nagelsmann oder Dardai, die vorher Jugendmannschaften gecoacht haben, beweisen, dass dieses Konzept auch hervorragende Trainer hervorbringt.

Sie haben auch noch eine andere Zeit kennengelernt…

Früher waren Trainer auch mal Alleinherrscher. Diese Zeit ist vorbei. Heute wird den Trainern in der Ausbildung beigebracht, dass Diplomatie, Empathie und Kommunikation auch dazugehören. Ich kann mir vorstellen, dass die Trainer so näher an die Spieler herankommen.

Wohin man schaut, die jungen Trainer glänzten fast auf ganzer Linie mit hervorragenden Ergebnissen. Wird sich auch VfL-Trainer Valérien Ismaël etablieren?

Man muss berücksichtigen, dass es Valérien in Wolfsburg nicht leicht hatte, weil ständig über ihn diskutiert wurde. Insofern habe ich mich sehr gefreut, dass er mit zwei Siegen das vergangene Jahr abgeschlossen hat. Ich finde, jeder junge Trainer sollte diese Chance bekommen und freue mich, dass er sie weiterhin wahrnehmen kann. Ich würde mir wünschen, dass er sich durchsetzt. Die Fähigkeiten dazu besitzt er.

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Seit 1971 dabei: Fritz von Thurn und Taxis startete beim Bayerischen Rundfunk.

Ist Wolfsburg in den vergangenen turbulenten Wochen zu einem Chaos-Klub geworden?

Naja, wenn man heute auf die Tabelle schaut, muss man feststellen, dass beim VfL seit dieser hervorragenden Saison 2014/15, als er für gute Transferpolitik, sachliche Arbeit und fantastischen Fußball stand, einiges schiefgelaufen ist.

Zum Beispiel?

Es gab ein paar Fehler. Vielleicht wurde nach dem Erfolg einiges unterschätzt. Man dachte, dass es mit VW im Hintergrund und zwei klasse Typen wie Hecking und Allofs an der Spitze einfach so weitergeht. Hinzu kamen schlechte Transfers – und der schleichende Prozess des Niedergangs begann. Das ist schon vielen Vereinen passiert, auch den ganz großen.


„GEMESSEN AN DER EINWOHNERZAHL SIND DIE ZUSCHAUERZAHLEN IN WOLFSBURG SENSATIONELL.„

Steht Julian Draxler als Sinnbild für diese vielen gescheiterten Transfers?

Ich will es gar nicht an Draxler festmachen. Der erste Fehler war schon Bendtner, der ja überhaupt nicht funktioniert hat. Dann kam Kruse, schließlich wollten auch noch Rodriguez und Gustavo weg und, und und… Du warst als VfL ständig in den Schlagzeilen – auf negative Weise. Das hat abgefärbt. Diese Ich-will-weg-Mentalität der Spieler ist höchst bedenklich für den Fußball und hat dem VfL sehr geschadet.

Hätten Sie Draxler an Klaus Allofs‘ Stelle im vergangenen Sommer ziehen lassen?

Wenn Klaus gesagt hätte "Du kannst gehen", hätte er alle anderen wechselwilligen Spieler auch ziehen lassen müssen. Wie auch immer er es gemacht hätte, es wäre schwierig geworden.

Woran liegt es, dass es ausgerechnet in Wolfsburg so eine Flut an Wechselwünschen gibt?

Sicherlich ist der Standort Wolfsburg problematisch. Ich habe mich in dieser Stadt zwar immer wohlgefühlt, aber es gibt sicher Orte in Deutschland, die für einen Fußballprofi anziehender sind. Wenn dazu der Erfolg dann ausbleibt, ist der Standort ein Nachteil.

„ARNOLD STELLT GENAU DEN TYPUS SPIELER DAR, DEN DER VFL WOLFSBURG JETZT BRAUCHT.„

Der VfL feiert in diesem Jahr 20 Jahre Bundesliga. Sie haben den den Verein seither immer begleitet. Wie fällt Ihr Resümee dieser langen Zeit aus?

Seitdem ich im Mai 1998 beim Saisonfinale gegen Gladbach das erste Mal in Wolfsburg war, hat sich viel getan. Der Verein ist nie abgestiegen, was meinen großen Respekt verdient und noch nicht viele Vereine geschafft haben. Ich verstehe auch Leute nicht, die über Wolfsburgs Fanszene nörgeln. Gemessen an der Einwohnerzahl der Stadt sind die Zuschauerzahlen doch sensationell. Insgesamt haben die Fans über 20 Jahre aber leider nie einen über Jahre konstant spielenden VfL gesehen. Die Leistungen glichen immer einer Sinuskurve.

Bleiben wir bei der Kurvendiskussion. Was muss der VfL tun, damit aus dem gegenwärtigen Tiefwieder ein Wendepunkt wird?

Die Mannschaft verfügt auch ohne Draxler noch immer über eine hohe Qualität. Dazu hat der VfL einige sehr verheißungsvolle Talente in seinen Reihen. Daraus eine gut funktionierende Mischung zu formen, muss jetzt das Ziel der Verantwortlichen sein. Mit neuen Identifikationsfiguren kann es der VfL auch schaffen, endlich Konstanz zu bekommen.

Trauen Sie einem VfL-Youngster auch eine Nationalelf-Karriere zu?

Yannick Gerhardt hat ja erst kürzlich schon bei Jogi Löw reingeschnuppert und kann es schaffen. Vor allem Maxi Arnold hat es mir aber angetan. Ein sehr torgefährlicher Mittelfeldspieler, der mit seiner ganzen Art und Weise und seiner Identifikation mit dem Verein genau den Typus Spieler darstellt, den der VfL jetzt braucht.

Sie sagten selbst: Der Beruf ist Ihr Leben. Wissen Sie schon, wie Sie ab diesem Sommer die Wochenenden verbringen?


Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. (lacht) Ich genieße erst mal meine Abschiedstour mit dem Höhepunkt zum Abschluss beim DFB-Pokalfinale und dann lasse ich alles auf mich zukommen. Aber ganz ohne den Sport wird es wohl nicht gehen.