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20 Jahre Bundesliga 1997-2017

Express-Fünferpack und Derby-Schmach

Express-Fünferpack und Derby-Schmach

20 Jahre, 20 Geschichten – Die AZ/WAZ-Serie zum bundesliga-Jubiläum des VfL (3): Die bittersten Niederlagen 

Die bitterste aller Niederlagen ist dem VfL in seinen ersten 19 Bundesliga-Jahren erspart geblieben. Zweimal war es verdammt knapp, 2006 gegen Kaiserslautern und 2011 bei Hoffenheim, jeweils „Endspiele“ am letzten Spieltag – in beiden Fällen hätten Niederlagen Wolfsburgs Abstieg bedeutet. Bittere Momente gab es für den VfL im deutschen Fußball-Oberhaus trotzdem reichlich... So ist an Pleiten bis zu demütigender Höhe seit dem Aufstieg 1997 einiges zusammengekommen. Immerhin sechsmal ging Wolfsburg mit fünf Toren Differenz unter, 17 Mal waren es vier und 26 Mal drei Treffer Unterschied. Der größte VfL-Schreck Die gefühlt höchste, weil mit den meisten Gegentoren erlittene Klatsche: Am 19. September 1999 setzte es im alten Stadion am Elsterweg ein 2:7 gegen Werder Bremen. Dabei war der VfL schon nach drei Minuten durch Andrzej Juskowiak in Führung gegangen, hatte dann durch Jonathan Akpoborie nochmals vorn gelegen. Am Ende aber stand das Debakel, zu dem Werder-Neuzugang Claudio Pizarro einen Hattrick beisteuerte. Der heute, über 17 Jahre später, immer noch aktive Peruaner begründete damals seine Rolle als größter VfL-Schreck der Liga – 13 Tore (für Bremen und die Bayern) hat er Wolfsburg in mittlerweile 23 Spielen eingeschenkt... 

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Die Rekordpleite: Sieben Mal musste VfL-Keeper Claus Reitmaier am 19. September 1999 den Ball aus dem Netz holen – Marco Bode (u. v. l.) und Claudio Pizarro trafen je dreimal für Werder, Ailton einmal. 
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Fotos: Roland HermsteIn (2) / Mike Vogelsang (2) 

Nur einmal weniger, und das in lediglich zwölf Partien, tat Robert Lewandowski dem VfL mit seinen Treffern weh – erst für Dortmund, dann für die Bayern. Und im Trikot des Rekordmeisters ließ er Wolfsburg die bitterste Pille schlucken, die jemals ein Bundesliga-Joker eine gegnerische Mannschaft schlucken ließ: Am 22. September 2015 kam der Pole zur zweiten Halbzeit rein und verwandelte die 1:0-Führung des VfL mit seinem sensationellen Acht-Minuten-und-59-Sekunden-Fünferpack in eine 1:5-Abfuhr.

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Aus unterschiedlichen Gründen bitter sind zwei andere Niederlagen gegen die Bayern. Am 20. Dezember 1997 schien das allererste Bundesliga-Gastspiel des Rekordmeisters in Wolfsburg seinen erwarteten Verlauf zu nehmen: Die Elf von Giovanni Trapattoni führte nach 26 Minuten schon mit 2:0. Doch dann schockte Aufsteiger VfL das Starensemble von der Isar: Claudio Reyna und Detlev Dammeier stellten binnen drei Minuten auf 2:2. Es roch vor 21.600 Zuschauern am Elsterweg nach einer Sensation – bis elf Minuten vor Schluss ausgerechnet Abwehr-Bulle Sammy Kuffour mit dem 3:2-Siegtor die Bayern-Blamage abwendete.

17 Jahre später mussten die Wolfsburger die bis heute deutlichste Pleite in der VW-Arena quittieren: Eine Woche zuvor waren Kevin De Bruyne, Ivan Perisic & Co. von Hoffenheim schon mit 6:2 abgewatscht worden, am 8. März 2014 folgte die 1:6-Packung gegen die Bayern. Wobei nicht allein die Höhe bitter war: Der VfL hatte in Führung gelegen, dem souveränen Spitzenreiter (20 Punkte vor Dortmund) eine Stunde lang Paroli geboten. Nach 62 Minuten stand‘s noch 1:1... 

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Derby-Heimpleite: 2012 ging der VfL gegen Hannover (v. Artur Sobiech) mit 0:4 unter. Imago 11357050 
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Die große Schmach: 2013 musste sich der VfL (u. Luiz Gustavo) dem Nachbarn Braunschweig (o. Mirko Boland) mit 0:2 beugen. Imago 14689998 

Doppelt schmerzlich

Als doppelt schmerzlich ist eine andere Pleite in die Vereinsgeschichte eingegangen. Denn das 1:6 am 29. Mai 1999 in Duisburg tat nicht nur seiner Deutlichkeit wegen weh: Mit einem Sieg am letzten Spieltag hätte Wolfsburg eine irre Saison (Start mit acht Spielen ohne Sieg, dann mit dem UEFA-Cup-Einzug der bis dahin größte Erfolg der VfL-Historie) gekrönt und – im zweiten Bundesliga-Jahr – den Sprung in die Champions-League-Qualifikation geschafft. Doch trotz der Führung durch Juskowiak gingen die Gäste diesen letzten Schritt nicht, ließen sich von den Zebras abschießen. Allein ein gewisser Markus Beierle traf dreimal.

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Trost vom Gegner: Eine Stunde lang bot der VfL den Bayern 2014 Paroli, dann wurde aus einem 1:1 ein 1:6. Imago 15955344 
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Rekord-Dokument: Ein Bayern-Joker zerlegte den VfL 2015 ganz allein. Imago 21183491 

Besonders übel dürften Wolfsburgs Fans allerdings zwei andere Niederlagen aufgestoßen sein. Denn Heimpleiten in Derbys sind für den engagierten Fußballfreund der Nachbarschafts-Rivalität wegen besonders schwer zu verkraften. Und da war das 0:4 gegen Hannover am 2. September 2012 sogar noch das kleinere Übel – im Vergleich zu der Schmach, die der VfL seinem Anhang ein gutes Jahr später zumutete: Das 0:2 am 5. Oktober 2013 gegen Braunschweig.

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Großer Kampf vergeblich: 1997 mussten sich Jens Keller (r.) und Aufsteiger VfL den großen Bayern (l. Carsten Jancker) mit 2:3 beugen. Imago 00044399
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Krönung verpasst: Das 1:6 in Duisburg (v. Andreas Menger) kostete den VfL (h. Andrzej Juskowiak) 1999 die Champions-League-Qualifikation. Foto: Boris Baschin
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Der Nächste, bitte: Auch Ailton (r.) traf 1999 bei der 2:7-Rekordpleite des VfL (l. Claus Reitmaier) für Werder. Foto: Mike Vogelsang  

Gut möglich, dass es für eingefleischte Fans in der Rangliste der bittersten Wolfsburger Bundesliga-Niederlagen ganz oben steht. Trotz der sieben Gegentore gegen Werder oder der knapp neun Minuten, in denen Lewandowski den VfL demontierte...

Nächsten Mittwoch: Die Bundesliga-Trainer des VfL  

In dieser Woche vor 20 Jahren 

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Winterquartier: Das Barringtons in Vale do Lobo.

Vale do Lobo, zu Deutsch: Wolfstal. auch wenn sich der Gedanke aufdrängt, am Namen liegt es nicht, dass der VfL seine Zelte für die Vorbereitung auf die Rückrunde der Zweitliga-Saison 1996/97 erneut in Portugal aufschlägt – zum bereits vierten Mal. Das Sporthotel Barringtons bietet eine großzügige Appartement-Anlage, die Algarve zudem weitaus bessere klimatische Verhältnisse als das winterlich-kalte Wolfsburg.

„Die Arbeitsbedingungen hier sind eine Wohltat“, lobt Willi Reimann nach der Ankunft am 5. Februar 1997. In den folgenden Tagen zieht der VfL-Coach die Zügel straff an. Meist im Programm: ein Strandlauf um 7.30 Uhr, später zwei weitere Einheiten – das bringt die 23 Profis gehörig ins Schwitzen.

Zwischendurch wird getestet. Nach dem 0:0 gegen Casino Graz, einen österreichischen Erstligisten, herrscht Zufriedenheit, das 2:0 gegen den slowakischen Vizemeister 1. FC Kosice löst gar Begeisterung aus. angesichts der Tore von Sead Kapetanovic und Detlev Dammeier gerät Reimann, sonst eher mundfaul, fast ins Schwärmen: „Meine Mannschaft ist topfit.“

Die gibt in Portugal allerdings auch mächtig Gas. Dabei tobt der Konkurrenzkampf zuweilen über die Grenzen des erlaubten hinaus. Nach einem rüden foul ohrfeigt Torjäger Piotr Tyszkiewicz Kapitän Matthias Maucksch. Reimann („Das war Kampfsport – und den trainiere ich nicht“) überlässt es den Streithähnen, den Vorfall auszuräumen. Vorteil: Das kann vorm Schlafengehen bei einem Bierchen oder Wein geschehen, denn die strikte Null-Promille-Devise des Vorjahres gilt diesmal nicht.

Und es besteht weiterer Gesprächsbedarf. Mannschaftsrat und Peter Pander einigen sich auf eine Aufstiegsprämie, gut eine halbe Million beträgt sie. Der Manager würde das Geld nur allzu gern lockermachen: „für mich gibt‘s kein größeres Ziel als die Bundesliga.“

"Die hatten alle Mitleid mit dem VfL“

Die meisten seiner 334 Bundesliga-Spiele bestritt Claus Reitmaier zwischen 1998 und 2003 für den VfL – mit 162 Einsätzen liegt der Ex-Keeper (52) in der Liste der Wolfsburger Rekordspieler auf Platz sechs. Aktuell ist er Torwarttrainer bei Zweitligist Düsseldorf.

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Für uns zählen das 2:7 gegen Werder und das 1:6 in Duisburg, beide aus dem Jahr 1999, zu den bittersten Bundesliga-Niederlagen des VfL – Sie hatten das Pech, jeweils im Tor zu stehen...

Ja, das waren schon sehr spezielle Erlebnisse. Vier Gegentore, das passiert in einer Fußballkarriere schon mal. Aber sechs oder gar sieben, das ist wirklich heftig – und natürlich gerade für einen Torhüter katastrophal.

Der VfL hat in beiden Spielen geführt, gegen Bremen sogar zweimal – wie konnte das dann noch so in die Hose gehen?


Gegen Werder sind wir durch einen Doppelschlag kurz vor der Halbzeit 2:3 in Rückstand geraten, haben dann direkt nach Wiederanpfiff das 2:4 gekriegt. Spätestens da war für mich klar: Das wird nichts mehr. Ich weiß noch, wie ich mir bei einem Abstoß extra viel Zeit gelassen habe, ohne dass sich Fans, Schiedsrichter oder Gegenspieler darüber aufgeregt hätten – die hatten alle Mitleid mit dem VfL. Nur unsere Jungs haben mich zur Eile aufgefordert, die wollten weiter nach vorn spielen – und so ging es dahin...

Dieses 2:7 tat nicht lange weh, das 1:6 in Duisburg schon – es kostete Wolfsburg die damals sensationelle Champions-League- Qualifikation...

Natürlich wollten wir gewinnen, aber im Nachhinein konnte ich ganz gut damit leben, dass wir es nicht geschafft haben. Die Erwartungshaltung wäre für uns schon nach dem zweiten Bundesliga-Jahr enorm gewesen, die Belastung mit den vielen zusätzlichen Spielen auch. Ich glaube: Wenn wir wirklich Champions League gespielt hätten, wären wir mit Pauken und Trompeten abgestiegen!

Was war für Sie persönlich die bitterste Niederlage in Ihrer Wolfsburger Zeit?

Dass mich Trainer Jürgen Röber 2003 aussortiert hat, war viel, viel schlimmer als alle Pleiten auf dem Platz. Da ist für mich ein Traum zusammengebrochen, meine Bundesliga-Karriere schien plötzlich zu Ende. Immerhin kamen ja noch fünf Spiele für Gladbach dazu...