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Samtgemeinde Boldecker Land

Endlich in der Männer-Domäne angekommen

Endlich in der Männer-Domäne angekommen

Alle paar Jahre produziert Hollywood Kassenschlager mit Feuerwehrleuten als Leinwandhelden, die Leben retten und dabei ihr eigenes riskieren, für die Kameradschaft alles zählt, zur Not bis in den Tod. Ganze Kerle wie Paul Newman und Steve McQueen in „Flammendes Inferno“ und Robert De Niro und William Baldwin in „Backdraft“ wurden zum Inbegriff der Retter in Rot. Warum nicht mal Sandra Bullock und Angelina Jolie? Sie haben doch in „Speed“ und „Tomb Raider“ bewiesen, dass auch sie hart zupacken können. Die Antwort ist simpel: Frauen kommen im öffentlichen Bewusstsein bei der Feuerwehr nicht vor. Das wundert nicht, können doch gut 30.000 Männer der Berufsfeuerwehr in Deutschland auf gerade mal rund 350 Kolleginnen verweisen. Ein wenig besser sind die Freiwilligen Feuerwehren aufgestellt. Ihr Frauenanteil beträgt rund 8,5 Prozent.

Der Frauenanteil bei der Freiwilligen Feuerwehr wächst stetig


FÜR VIELE EINE GROSSFAMILIE

Ganz anders stellt sich die Situation in der Samtgemeinde Boldecker Land dar. Dort liegen die Wehren über dem bundesdeutschen Schnitt. In der Ortsfeuerwehr Tappenbeck zum Beispiel bilden sogar neun Feuerwehrfrauen mit 18 männlichen Kollegen eine Einheit. Und das gewiss nicht, weil sich die Kameradinnen bei der Freiwilligen Feuerwehr als Quotenfrauen verstehen. „Vielleicht drücken wir Frauen es etwas emotionaler aus als unsere männlichen Kameraden, aber für uns ist die Freiwillige Feuerwehr wie eine große Familie“, erklärt Dora Bischoff von der Tappenbecker Wehr – mit 67 Jahren die Älteste des Teams. 

„Für uns ist die Freiwillige Feuerwehr wie eine große Familie.“

Und Alexandra Lippke-Kubsch aus ihrer Gruppe ergänzt: „Wie bei einer richtigen Familie ist man zwar nicht mit allen ganz dicke, trotzdem unternehmen wir neben unseren Trainingseinheiten auch privat ganz viel miteinander.“

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Foto: istockphoto.com Cineberg

Doch beide sind nicht in dieser Familie aufgewachsen, sondern – ohne einander zu kennen – 2003 nach Tappenbeck gezogen. Und auch beruflich verband sie nichts. Dora war als Busfahrerin tätig, Alexandra arbeitet noch als Maschinenbauingenieurin. In der Freiwilligen Feuerwehr sahen beide, für die ehrenamtliches Engagement Ehrensache ist, eine sehr gute Möglichkeit, bei Gleichgesinnten in Tappenbeck anzukommen. Sie haben ihren Platz in der Gemeinschaft gefunden. Dora übernahm Aufgaben wie die Besetzung des Einsatzleitfahrzeugs und die Kinderbetreuung, Alexandra ist inzwischen stellvertretende Ortsbrandmeisterin und Gruppenführerin.

HILFREICH FÜR NACHWUCHS: DAS FEUERWEHR-GEN

Am einfachsten sind die Startbedingungen für jene, die das Feuerwehr-Gen in sich tragen. Sabrina Kuhlgatz-Würfel trat mit großer Zustimmung der Familie im Alter von zehn Jahren der Jugendfeuerwehr in Edemissen bei. Da sie ein aktives Mitglied der Tappenbecker Wehr heiratete, übernahm sie als Hausfrau und Mutter von drei Kindern selbstverständlich die Aufgaben der stellvertretenden Jugendwartin. Schon als Kind stark beeindruckt von der Freiwilligen Feuerwehr war auch Annika Wegner aus Jembke. Sie hatte die Abläufe verinnerlicht, wenn die Sirene dreimal ertönte und ihr Vater als Ortsbrandmeister zum Einsatz ausrückte. 

„Es ist wichtig, nach einem bewegenden Einsatz mit jemandem zu reden, der diese Gefühle viel besser als die eigene Familie oder Freunde und Bekannte nachvollziehen kann.“

Seit ihrem zehnten Lebensjahr engagiert sie sich in der Jugendfeuerwehr und absolviert nun, nach dem Abitur und neben dem Bundesfreiwilligendienst, die Truppmannausbildung.

ALS ORGANISATIONSTALENTE SEHR GEFRAGT

Vier sehr unterschiedliche Zugänge von Frauen, sich für das ehrenamtliche Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr zu entscheiden. Und sie stehen nur exemplarisch für ihre Kameradinnen in der Samtgemeinde Boldecker Land, die allesamt ein breites berufliches Spektrum abbilden. Sie belegen: Sogar dieses zeitlich zum Teil unberechenbare Engagement lässt sich mit Job, Familie und Hobbys vereinbaren. „Vor allem bei Einsätzen, aber auch beim Einplanen der Trainingseinheiten zeigen uns die Frauen, dass sie sehr gut organisiert sind. Mitunter in Sekundenschnelle muss dann Ersatz für die Kinderbetreuung oder für die Pflege von Angehörigen gefunden werden. Das schaffen sie und sind trotzdem zeitgleich mit allen anderen am Einsatzort“, berichtet Gemeindebrandmeister Karsten Teitge voller Anerkennung und er fährt fort: „Auch beim Einsatz haben unsere Frauen irgendwie einen weiteren und sorgsameren Blick rundherum, um zu erfassen, was zu tun ist.“

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Grundsätzlich gilt: Frauen übernehmen bei der Feuerwehr die gleichen Aufgaben wie Männer. Dafür nehmen sie wie ihre männlichen Kameraden neben den wöchentlich stattfindenden Dienstabenden an Lehrgängen teil – kein Problem für gut organisierte Frauen. Fotos: Samtgemeinde Boldecker Land.
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Nicht nur Brandbekämpfung, auch Rettungsdienst wird regelmäßig trainiert. Foto: Samtgemeinde Boldecker Land

Große Bedeutung haben die Feuerwehrfrauen auch nach den Einsätzen, wenn alle Kameradinnen und Kameraden wieder zur Wache zurückgekehrt sind. „Wir nehmen uns die Zeit, das Geschehene gemeinsam zu verarbeiten. Denn beim Einsatz funktionieren wir alle, aber hinterher kommen die Gedanken, zum Beispiel über die Schicksale der Betroffenen, die Opfer eines Feuers oder Unfalls geworden sind. Dann tut es gut, miteinander zu reden. Das fällt uns Frauen mitunter leichter als den Männern“, weiß Dora Bischoff. Und Alexandra Lippke-Kubsch fügt hinzu: „Es ist wichtig, nach einem bewegenden Einsatz mit jemandem zu reden, der diese Gefühle viel besser als die eigene Familie oder Freunde und Bekannte nachvollziehen kann. Für diesen Austausch untereinander haben wir eine sehr große Vertrauensbasis.“

JEDE RETTENDE HAND IST GEFRAGT

Die Aufgaben der Frauen bei der Freiwilligen Feuerwehr beschränken sich natürlich nicht auf das gute Zuhören, weil sie das besonders gut können. Grundsätzlich gilt: Es gibt bei der Feuerwehr keine geschlechtsspezifischen Qualifikationen. „Für alle, die bei uns mitmachen, gibt es eine Aufgabe, jeder wird gebraucht. Dabei spielen das Alter, die Vorbildung oder die körperliche Verfassung keine entscheidende Rolle. Ich, zum Beispiel, habe meine erste Truppmannausbildung noch nicht abgeschlossen und kann bei Einsätzen noch nicht ganz vorne mitmachen, aber ich kann die Kameraden mit Kaffee versorgen. Eines Tages werde ich mich freuen, wenn das jemand für mich macht“, sagt die 18-jährige Annika Wegner.

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Die Frage, was sie für die Freiwillige Feuerwehr leisten können, haben viele Feuerwehrfrauen für sich längst entschieden und handeln danach. Aber nach jahrelanger Praxis wissen sie auch, was sie zurückbekommen. Durch das Engagement bei der Freiwilligen Feuerwehr komme man aus dem Alltagsdenken heraus und erhalte eine andere Sichtweise auf die wichtigen Dinge im Leben, nehme Schicksale anderer Menschen viel bewusster wahr, man werde toleranter, fahre viel vorsichtiger Auto und werde sich irgendwann bewusst, eine Vorbildfunktion zu haben, mit der Chance, das Denken anderer positiv zu verändern, sagen sie. Warum also nicht endlich Sandra Bullock und Angelina Jolie, so ausgestattet, Leinwandheldinnen der Feuerwehr werden lassen? Wenn’s mit Hollywood nicht klappt, dann eben mit den Feuerwehrfrauen aus dem Boldecker Land – die wissen, wie’s geht. (jv)