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City Magazin Wolfsburg - Sommerzeit

Hohe Kunst Radierung: Filigranes in Perfektion

Hohe Kunst Radierung: Filigranes in Perfektion

Künstlerporträt

Trotz des weit geöffneten Fensters hat der Duft der Sommerblumen nicht einmal den Hauch einer Chance gegen den beißenden, alchemistisch anmutenden Geruch von Brennspiritus, Salpetersäure, Farbe und Terpentin in der Druckwerkstatt von Angelika Bucher. „Das muss man mögen, zumindest aber aushalten, wenn die haarfeinen, filigranen Motive, die mit der Radiernadel seitenverkehrt in Kupferplatten gekratzt wurden, mit der zentnerschweren Druckerpresse aufs Papier übertragen werden sollen“, erklärt die Künstlerin, die sich seit vielen Jahren im Streben nach Perfektion am liebsten mit der hohen und aufwendigen Kunst der Radierung beschäftigt. Dennoch: In ihrem Einfamilienhaus in Sülfeld ist Kunst an sich von der Druckwerkstatt im Souterrain bis zum hellen Atelier unterm Dach nahezu allgegenwärtig. Denn die pensionierte Kunstlehrerin hat über viele Jahre hinweg auch auf der Staffelei mit Pinsel und Farbe fantasievolle Gedanken in Bilder verwandelt. Jedes von ihnen kann dem Betrachter eine Geschichte erzählen. Und genau das macht Angelika Buchers Arbeiten so interessant und spannend.Mehr als 30 Jahre Kästner-Schule

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„Ich konnte und kann selbst von Kunst nie genug haben.“ ANGELIKA BUCHER

Längst ist der Name der 73-jährigen Wolfsburger Künstlerin, die in Dresden geboren, in Bückeburg aufgewachsen und seit 1973 in Wolfsburg zu Hause ist, ein Name, ein Begriff. Nicht nur, weil sie Trägerin zahlreicher Auszeichnungen wie zum Beispiel der bronzenen Stadtplakette ist. Sondern auch, weil die studierte Textildesignerin doch neben ihrer umfassenden freiberuflichen künstlerischen Arbeit von 1973 bis 2004 vor allem als Kunsterzieherin an der Erich-Kästner-Schule (heute: Bunte Schule) tätig war. Dort hat sie in mehr als 30 Jahren ihre Schülerinnen und Schüler auf besondere Weise für Kunst sensibilisiert, ihr Empfinden geschult, ihre Kreativität geweckt und das Feuer der eigenen Begeisterung an die nächsten Generationen weitergegeben. Und die erinnern sich gern an ihre Lehrerin Angelika Bucher. „Ich konnte und kann selbst von Kunst nie genug haben“, schmunzelt sie und erzählt: „Nach dem Abitur wollte ich unbedingt auf die Kunsthochschule nach Hannover. Doch das fand mein Vater gar nicht gut. Also besuchte ich zunächst die Höhere Handelsschule, nahm eine Lehre in einem Versicherungsbüro auf und landete schließlich bei der Kreissparkasse Minden. Für mich eine zu trockene Materie. Deshalb besuchte ich immer wieder einschlägige Kurse zum Beispiel im Fotografieren oder Schweißen. So konnte ich 1963 doch noch ein Studium an der Werkkunstschule Hannover aufnehmen und Textildesignerin werden.“

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Acrylmalerei – für Angelika Bucher neben der Radierung ein nicht weniger spannendes wie weites künstlerisches Betätigungsfeld.

Große Druckerpresse musste sein

In ihrem Mann Friedrich (†), der in Heidelberg Kunst und Politische Wissenschaften studiert und danach in der jungen, aufstrebenden Stadt Wolfsburg eine Anstellung als Lehrer bekommen hatte, fand Angelika Bucher den idealen Lebenspartner. Er war selbst fantasievoll kreativ und brachte Verständnis für die künstlerischen Ambitionen seiner Frau mit, die auch nach der Geburt ihrer Söhne Björn (1967) und Sven (1970) zunächst freiberuflich als Designerin arbeitete, der Malerei frönte, den Siebdruck interessant fand und sich seit 1974 mit Hingabe der überaus anspruchsvollen Technik der Radierung widmete.

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Als die Buchers 1983 in Sülfeld ihr Eigenheim bauten, waren eine Werkstatt für Lithografiearbeiten und Radierungen mit großer Druckpresse wie auch ein Fotolabor ein großer Traum. „Um den finanziell verwirklichen zu können, habe ich von 1982 bis 1989 noch nach dem Unterricht in der Schule oft bis spät in die Nacht an Entwürfen für Röders Zinn Soltau und den Salzer Verlag Heilbronn gearbeitet. Heute bin ich glücklich, eine komfortabel ausgestattete Werkstatt im eigenen Haus zu haben, in der ich zu jeder Tages- und Nachtzeit tätig sein kann. Um meine Arbeit weiter zu vervollkommnen, setzte ich mich außerdem von 1988 bis 1995 noch einmal als Gasthörerin an der HBK Braunschweig intensiv mit den grafischen Gestaltungsmöglichkeiten Heliogravüre, Siebdruck, Radierung und Lithografie auseinander“, erklärt Angelika Bucher.

Vielfalt symbolträchtiger Motive 

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Ideen für ihre Arbeiten scheinen wie aus einer unversiegbaren Quelle zu sprudeln: Symbolträchtige Motive wie Bäume, Muscheln, Steine, Gräser, Mohnkapseln, Federn, Schnecken oder Schalentiere, Fabelwesen, Früchte, Blumen oder Fußspuren, aber auch Reiseimpressionen und Erinnerungen an Begegnungen mit Menschen aus anderer Herren Länder, Ortsansichten oder Landschaften – die Künstlerin hat ihr Terrain in alle Richtungen ausgelotet, faszinierende Bilder geschaffen, die vielfältiger kaum sein können und seit 1970 immer wieder in namhaften Galerien und Ausstellungen im In- und Ausland schon ihre Bewunderer fanden. Buchers jüngste Ausstellung im Frühling 2017 im Kunstverein creARTE Wolfsburg trug per se den Titel „Querschnitte“.

Junge Talente in der „Mäusewerkstatt“ 

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Die Kupferplatte als Druckvorlage – Angelika Bucher beschäftigt sich am liebsten mit der Radierung.

Allein mit der Radierung, einer heutzutage höchst elitären Form der künstlerischen Grafik, ist Angelika Bucher eine Ausnahmekünstlerin, die selbst eigene Schicksalsschläge wie zum Beispiel die Trauer um den Verlust ihres Sohnes Sven mit der Herausgabe des Buches „Gedanken“ mit eigenen Radierungen und Lyrik verarbeitet. Kunst war und ist für sie Lebenselixier. Doch: „Bis hierhin war es ein langer künstlerischer Entwicklungsweg, den man gar nicht früh genug beginnen kann“, erklärt sie unumwunden. Deshalb gründete sie 2004 eine eigene Malschule: die Mäusewerkstatt Wolfsburg-Sülfeld. Hier hat es sich Angelika Bucher zu Aufgabe gemacht, kunstbegeisterte und talentierte Kinder in kleinen Gruppen individuell zu unterrichten, zu fördern und in die Geheimnisse der Bildgestaltung, der Druckkunst im Allgemeinen und der Radierung im Besonderen einzuführen.

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Die Erfolge ihrer Schützlinge ließen nicht lange auf sich warten. Egal ob im weltweit ausgeschriebenen Ägyptischen Wettbewerb, im Europäischen Wettbewerb, bei der Kleinen Grafikbiennale St. Petersburg, beim Internationalen Jugendwettbewerb der Volks- und Raiffeisenbanken „jugend creativ“ oder beim Landeswettbewerb „Jugend gestaltet“ – weil Angelika Bucher viele Jahre selbst als Jurorin auf Bundes- oder Landesebene tätig war, hat sie ein untrügliches Gespür, womit ihre „Kunstmäuse“ auch bei Experten richtig punkten können. Sie weiß die Kreativität ihrer Schülerinnen und Schüler zu den jährlich wechselnden Wettbewerbsthemen so anzuregen und zu beflügeln, dass sie immer mit Spaß bei der Sache sind und sich schon oft über erste Preise freuen durften.

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Angelika Bucher lässt in ihren Bildern Details sprechen.

Kunst ist Herzenssache

Die Künstlerin selbst hat bis heute den Elan für immer neue Projekte nicht verloren. So illustrierte Angelika Bucher in den 80er-Jahren eine Geschichte aus der Feder ihres Mannes über drei kleine Vogelkinder: „Die Plusterlinge“. 2004 – kaum 14 Tage im Ruhestand – brachte sie die „Mäuseweihnacht“ zu einer Geschichte von Alexander Kales zugunsten von Mukoviszidose e. V. in 4000er Auflage aufs Papier. Und schließlich produzierte sie mit den Kindern aus der Mäusewerkstatt bereits seit 2008 vier Kunstkalender und zwei Bücher – immer zu besonderen Themen und immer für einen guten Zweck in der Stadt und Region Wolfsburg. Bucher: „Kunst ist nun mal in erster Linie Herzenssache! Anders geht es nicht.“ (bc)